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Die Herausforderungen des Frauenstudiums

Elsa und der geschichtliche Hintergrund zum Frauenstudium

Im 19. Jahrhundert gab es kaum Hochschulen, an denen Frauen studieren konnten. Doch das änderte sich allmählich, als die Universität Zürich 1840 erstmals das Frauenstudium zuließ. Im Russländischen Reich wurden 1878 die Höheren Kurse für Frauen eingeführt. Voraussetzung für die Immatrikulation waren das Abitur und die russländische Staatsangehörigkeit. Diese Zulassungsbedingungen konnte Elsa erfüllen, nachdem sie 1899 das Abitur an der deutschen Petri-Pauli-Mädchenschule in Moskau abgelegt und 1901 mit 18 Jahren ihren Jugendfreund Dmitri Winokurow geheiratet hatte. Als Staatsbürgerin des Russländischen Reiches konnte sie nun zwischen 1901 und 1903 an der Frauenhochschule in Moskau Naturwissenschaften studieren und so die für das erträumte Medizinstudium erforderliche Vorbildung absolvieren. 1903 wurde sie an der Universität Zürich gleich in das fünfte Semester aufgenommen und schloss das Studium drei Jahre später in Berlin ab. Doch was bedeutete es um die Jahrhundertwende, als Frau zu studieren? Welchen Herausforderungen musste sich Elsa im Laufe ihres Studiums stellen, und welche Rolle spielten in diesem Zusammenhang die gesellschaftlichen Machtverhältnisse?

Elsas Gesuch (mit Lebenslauf) um eine Aufnahme in die Höheren Frauenkurse in Moskau, 1901.

Quelle: Ego-Dokumente zu Elsa Winokurow, geboren Rammelmeyer. In: Nachlass von Elsa Winokurow (1883-1983). https://opacplus.bsb-muenchen.de/search?id=BV047117118&db=100&View=default. (CC BY-NC-SA 4.0)

Um in die Höheren Frauenkursen in Moskau aufgenommen zu werden, musste Elsa ein Anschreiben mit Lebenslauf einreichen.

Hartnäckigkeit der Stereotype

Zwar wirkten sich gesellschaftliche und bildungspolitische Veränderungen im Russländischen Reich und in Europa zunehmend positiv auf die Zulassung junger Frauen zum Studium aus. Doch hatten sie um die Jahrhundertwende weiterhin mit geschlechtertypischen Rollenbildern und gesellschaftlichen Vorbehalten zu kämpfen. So schreibt Elsa in ihren Memoiren:

„Wie damals üblich, erhielten die jungen Mädchen in den Familien keine Ausbildung, stillschweigend und dilettantisch hofften die Eltern und Töchter auf eine Ehe und warteten völlig passiv auf die zufällige Bekanntschaft mit einem wenigstens einigermaßen passenden Mann“.

Quelle: Elsa Winokurow, Erinnerungen, 210.

Eine Folge der meist lückenhaften Vorbildung der Frauen war, dass viele von ihnen sich das fehlende Wissen erst im Selbststudium aneignen mussten. Sich der vorherrschenden patriarchalischen Weltsicht zu widersetzen, verlangte daher von den jungen Frauen viel Engagement und Mut.

Die Rolle der Männer

Die Zulassung der Studentinnen zu den einzelnen Seminaren war oft von der persönlichen Einstellung und Entscheidung des Professors abhängig. Neben den vielen Professoren, die dem Frauenstudium ablehnend gegenüberstanden, gab es um die Jahrhundertwende auch einige progressive Hochschullehrer, die nicht nur die Zulassung der Frauen zum Hochschulstudium befürworteten, sondern sie ausdrücklich in ihren Kursen willkommen hießen. Diese Ambivalenz konnte Elsa auch während ihrer Studienzeit beobachten.

Elsas deutscher Reisepass, 1927.

Quelle: Ego-Dokumente zu Elsa Winokurow, geboren Rammelmeyer. In: Nachlass von Elsa Winokurow (1883-1983). https://opacplus.bsb-muenchen.de/search?id=BV047117118&db=100&View=default. (CC BY-NC-SA 4.0)

Gegen männliche Bevormundung hatten Frauen aber nicht nur im akademischen Bereich zu kämpfen. Selbst für die Beantragung eines Passes, eine Auslandsreise oder einen Wohnortwechsel war das Einverständnis des Ehemannes erforderlich. So musste beispielsweise auch Elsas Mann auf dem Polizeirevier schriftlich seine Zustimmung erteilen, die mit einem entsprechenden Vermerk in ihrem russischen Pass kenntlich gemacht wurde.

Ein aufmerksamer Blick auf Elsas deutschen Pass, der 1927 ausgestellt wurde, zeigt, wie der Staat seine Bürger:innen damals kategorisierte. Es ist deutlich zu erkennen, dass ein damaliger deutscher Reisepass ursprünglich für einen Mann konzipiert war, der von Ehefrau und Kindern begleitet wurde. Doch Elsa ist hier nicht in der Rubrik „Begleitet von seiner Ehefrau“ aufgeführt, sondern in dem Feld „Name des Passinhabers“, also als Protagonistin.

 Elsas Erfolg

Ihr Studium in Zürich konnte Elsa dennoch nicht abschließen, da die praktische klinische Ausbildung den ausländischen Student:innen in der Schweiz verwehrt blieb. Auf der Suche nach Alternativen zog sie 1905 nach Berlin und erkundigte sich nach dem Abschluss der praktischen Ausbildung 1906 nach Promotionsmöglichkeiten. Die Universität München, deren damaliger Rektor Frauen die Zulassung zum Studium verweigerte, lehnte ihren Antrag ab. Eine Zusage erhielt sie aber von der Universität Bonn, wo sie 1907 am pathologischen Institut promoviert wurde. 1908 erlangte sie den Doktortitel und bewies damit, dass die Fähigkeit zu studieren keine Frage des Geschlechtes ist.

Elsa Winokurows Promotionsurkunde, 1908.

Quelle: Ego-Dokumente zu Elsa Winokurow, geboren Rammelmeyer. In: Nachlass von Elsa Winokurow (1883-1983). https://opacplus.bsb-muenchen.de/search?id=BV047117118&db=100&View=default. (CC BY-NC-SA 4.0)

Elsa promovierte 1908 an der Medizinischen Fakultät in Bonn zum Thema
„Einige seltenere Geschwülste bei Tieren“ unter der Betreuung von Professor Hugo Ribbert und Professor Bernhard Fischer-Wasels.

Empfohlene Zitierweise: Morina, Gresa: Die Herausforderungen des Frauenstudiums, in: Elsa Winokurow - Studentin, Migrantin, Ärztin. Ein bemerkenswertes Leben um die Jahrhundertwende. (https://www.elsa-winokurow-esg.de/zugangsbedingungen). CC BY-NC-SA 4.0 (Datum des letzten Besuchs).

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