Die „typisch“ slawische Schönheit
Von Borys Zubaryev
Das Bild der schönen Slawin
Der Ursprung weit verbreiteter Stereotype lässt sich häufig nicht mehr genau eruieren. Sie bleiben meist unhinterfragt und prägen so unsere Vorstellung von uns selbst und den anderen. Dies gilt auch für das Klischee von der Schönheit der slawischen Frauen, das bereits im 18. Jahrhundert in den deutschsprachigen Ländern über die polnischen Frauen in Umlauf war. Später wurde diese Eigenschaft auch anderen slawischen Frauen zugesprochen. Bis heute zeigen Umfragen, dass das Bild der schönen Slawin als Auto- wie als Heterostereotyp weiterhin Konjunktur hat.
Elsa als Teil zweier Welten
Als Elsa Winokurow 1976 ihre Autobiographie verfasste, bestand an auto- beziehungsweise heterostereotypen Vorstellungen über „die Deutschen“ respektive „die Russen“ durchaus kein Mangel. Ihre Betrachtungsweise war deshalb so einzigartig, weil sie sich in verschiedenen Phasen ihres Lebens in beiden Kulturkreisen sowohl fremd als auch zugehörig gefühlt hatte und beide „Welten“ deshalb aus der Innen- wie der Außenperspektive betrachten konnte.
"Echte russische Frauen"
Trotzdem ist Elsas Autobiographie nicht frei von Verallgemeinerungen. So hatte sie eine feste Vorstellung davon, was unter „typisch russisch“ zu verstehen sei: etwa die Aussprache des russischen Zungenspitzen-R oder das von Männern getragene „typisch russische“ Baumwollhemd. Außerdem hatte sie ein klares Bild von einer „echten russischen Frau“, die Elsa zufolge über eine starke Anziehungskraft verfügte. Auch in ihren Kindheitserinnerungen an die Schwestern Birjukow kam sie auf diese Vorstellung zu sprechen:
„Obgleich sie sich nicht durch besondere Schönheit auszeichneten, waren sie doch ungewöhnlich, ja beinahe unwiderstehlich anziehend in ihrem Gang, ihren Kopfbewegungen, ihrer Redeweise – so anziehend, wie es gerade russische Frauen sein können.“
Quelle: Elsa Winokurow, Erinnerungen, 80f.
Ganz ähnlich beschrieb sie auch Jekaterina (Katja) Dmitrijewna Sawalischina, mit der sie eine langjährige Freundschaft verbunden hatte:
„Aufmerksame graue Augen mit einer typisch slawischen sichelförmigen Form der Oberlider […] Die sehr helle Gesichtshaut machte wegen der stets leichten Wangenröte keinen kränklichen Eindruck. Katjenka war nicht sehr kräftig; ihre sehr schmalen (aristokratischen) Hände und die schlanken Beine und Füße mit dem für Aristokraten typischen hohen Rist rundeten ihr Bild ab.“
Quelle: Ebd., 217.
Die häufige Verwendung des Wortes „typisch“ lässt vermuten, dass Elsa sich hier gewisser Klischees bedient, die in ihrer Jugend etwa über Aristokraten und/oder Slawen in Umlauf waren. Für sie scheinen derartige Attribute einen hohen Stellenwert gehabt zu haben, wobei sie nicht immer ganz schlüssig argumentiert, wenn sie beispielsweise an der einen Stelle die einzigartige Anziehung der Russinnen beschwört, in einem anderen Zusammenhang hingegen die nicht minder beeindruckende Schönheit der Jüd:innen.
Empfohlene Zitierweise: Zubaryev, Borys: Die „typisch“ slawische Schönheit, in: Elsa Winokurow - Studentin, Migrantin, Ärztin. Ein bemerkenswertes Leben um die Jahrhundertwende. (https://www.elsa-winokurow-esg.de/die-typisch-slawische-sch%C3%B6nheit). CC BY-NC-SA 4.0 (Datum des letzten Besuchs).